Modernisierung des Logistikzentrums von Bell im schweizerischen Zell
Durch die Installation eines Multishuttle-Lagers als Warenausgangspuffer und die Ablösung der vorhandenen Lagersoftware im laufenden Betrieb konnte der Durchsatz des Logistikzentrums effektiv gesteigert werden. Damit ist Bell in der Lage, mehr Rollcontainer für den Handel sequenziert beladen und ausliefern zu können.
Das neben der Produktion errichtete Logistikzentrum für Roh- und Fertigwaren mit einer Betriebstemperatur von 0 bis +2 °C, ausgestattet mit hochautomatisierter Förder-, Lager- und Kommissioniertechnik, stieß an seine Kapazitätsgrenzen. Daher beschloss Bell, gemeinsam mit einem Logistikplaner Lösungen zur Optimierung und Erweiterung der Logistikanlage innerhalb des bestehenden Gebäudes zu erarbeiten.
Abweichend von dem entwickelten Konzept entschied Bell sich schließlich für die Lösung der Dematic, die für die Lagerung, Auftragskonsolidierung und Sequenzierung sämtlicher kommissionierten und artikelreinen Behälter die innovative Multishuttle-Technologie vorsah.
Ausgangslage
Am Standort in Zell, der bereits seit 1950 besteht, wird vor allem Geflügel geschlachtet, zerlegt und verarbeitet. Die Produktionsplanung basiert zu einem großen Teil auf Prognosen, denn 80% der eingehenden Aufträge müssen noch am gleichen Tag ausgeliefert werden.
Aus der Zerlegerei kommen die Fleischbehälter über eine Fördertechnik zunächst ins Rohwarenlager. Von der Produktion angefordert, fahren die Behälter automatisch über eine Förderstrecke in die Packerei. Dort wird das Frischfleisch auftragsgerecht für den Handel abgepackt und artikelrein in C2-Behälter gelegt.
Diese bis 30 kg schweren Behälter mit den konfektionierten Waren werden anschließend möglichst in Zweier-Stapeln in ein aus mehreren Blöcken bestehendes Fertigwarenlager eingelagert. Von hier bestücken die mit vier Gabeln ausgestatteten Regalfahrzeuge aus der Lagergasse auch die direkt an der Stirnseite des Lagers angrenzenden Kanäle für die Pick-by-Light-Kommissionierung.
Bis hierhin sollten die bestehenden Transport-, Lager- und Kommissionierprozesse operativ beibehalten, aber durch ein neues Lagerverwaltungssystem (LVS) sowie ein neues Materialfluss-Steuerungssystem basierend auf der Dematic Software unterstützt werden. Für die anschließende Zwischenlagerung der fertig kommissionierten Behälter und der Ganzgebinde, die über eine Fördertechnik direkt aus dem Fertigwarenlager kommen, hat Dematic den Materialfluss neu gestaltet.
Thomas Graf, Leiter Betrieb bei der Bell Schweiz AG, Geschäftseinheit Geflügel„Unser Ziel war natürlich auch, dass wir die Inbetriebnahme ohne spürbare Auswirkungen für unsere Kunden über die Bühne bringen. Das haben wir erreicht.“
Die Lösung
Da es sich bei der bestehenden Logistikanlage von Bell um ein System mit hochkomplexen Funktionalitäten und einer Vielzahl von Abhängigkeiten und Einflussfaktoren handelte, sollten vor Beginn der Realisierung die benötigten Strategien und Materialflüsse über ein umfassendes Simulationsmodell bestätigt werden. Die nach diesen Ergebnissen und den spezifischen Anforderungen entwickelte Softwarelösung hat Dematic anschließend gemeinsam mit Bell einem umfangreichen Factory Acceptance Test unterzogen.
Dabei wurden alle abgestimmten Geschäftsprozesse sowie Sonder- und Störfälle in einer Laborumgebung intensiv getestet. Ein Stillstand in der Produktion oder im Warenausgang sollte mit allen Mitteln vermieden werden. Um kein Risiko einzugehen mussten vor der Inbetriebnahme alle Tests durchgespielt werden und funktionieren.
Realisierung
Um die Tests so realitätsnah wie möglich zu gestalten, haben die IT-Spezialisten von Dematic eine Emulation erstellt, die die Steuerungsebene und die Mechatronik simuliert und grafisch darstellt. Die Emulation verhält sich aus Sicht der Softwareapplikation so, wie später die reale Steuerung auf der Anlage. Die Emulation ermöglicht auch, mit höheren Geschwindigkeiten zu fahren als in der Realanlage, um die Hardware ein bisschen zu stressen.
Diese Testphase ist intensiv genutzt worden, um keine Produktionsausfälle zu riskieren und die Inbetriebnahmezeiten kurz halten zu können. Die Software im laufenden Betrieb zu testen und in Betrieb zu nehmen, war dabei die größte Herausforderung. Dematic hatte nur sehr beschränkte Zeitfenster nachts oder am Wochenende verfügbar. Der Aufwand hat sich aber gelohnt, weil die Inbetriebnahme reibungslos verlief.
In einer ersten Stufe hat Dematic das IT-System für das Rohwarenlager ersetzt und eine Schnittstelle zwischen dem Host und der Dematic Software eingeführt. Darüber hinaus musste auch eine Schnittstelle zum alten Lagersteuerungssystem programmiert werden, da das Fertigwarenlager noch unter alter Steuerung lief. Die Arbeiten hierfür waren sehr aufwändig, da es keine offene Dokumentation dazu gab.
Im nächsten Schritt installierten die Techniker die vier Multishuttle-Lagerblöcke inklusive fördertechnischer Anbindung an die bestehende Kommissionierung. In dieser Phase wickelte Bell alle produktiven Aufträge zunächst noch über das bestehende Fertigwarenlager und die bestehende Rollcontainerbeladung ab. Das Multishuttle System wurde in dieser Zeit ausschließlich mit Testaufträgen beauftragt.
In der dritten Stufe wurden die verbliebenden Teile der Lagerverwaltung- und Materialfluss-Steuerungssysteme ersetzt – bevor schließlich der Multishuttle-Sortierpuffer in Echtbetrieb genommen wurde.
Technische Daten
- Dematic Multishuttle-Anlage mit 4 Gassen, 9 Ebenen und 36 Shuttles
- 3.600 Behälterstellplätzen, Lagerung in Zweier-Stapeln möglich, bei einem Stapelfaktor von 1,5 kann das Multishuttle-Lager 5.400 Behälter aufnehmen
- Spitzengeschwindigkeit von 6 m/s und Durchsatz von 3.000 Behältern pro Stunde
- Simulation und Emulation der Steuerungsebene und der Mechatronik
- Schnittstelle zum alten Lagersteuerungssystem
Der Prozess
Heute gelangen die fertig kommissionierten Behälter einfach oder als Zweier-Stapel über die bestehende untere oder über die neue obere Auslagerstrecke in den neuen Warenausgangspuffer. Das Multishuttle-Lager mit einem Shuttle pro Ebene und Gasse ist in zwei untere und zwei obere Blöcke mit je neun Ebenen für die einfachtiefe Lagerung der Behälter aufgeteilt.
Die Simulation vorab hat ergeben, wie groß die benötigte Systemleistung des Multishuttles sein muss, um den geforderten Durchsatz zu erzielen. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten ergab sich dann, wie groß und wie tief die Module gebaut werden können. Bei einem Stapelfaktor von 1,5 kann das Multishuttle-Lager 5.400 Behälter aufnehmen und erreicht mit 36 Shuttles, die mit einer Spitzengeschwindigkeit von 2 m/s fahren, einen Durchsatz von 3.000 Behältern pro Stunde.
Bei der Zuführung der fertig kommissionierten Behälter in den Warenausgangspuffer wird darauf geachtet, dass alle Behälter, die für den gleichen Versandrollcontainer geplant sind, auch in den gleichen Multishuttle-Block eingelagert werden. Dazu ist die Anlage mit vier Einlager- und vier Auslagerliften ausgerüstet, wobei jeder Lift gleichzeitig zwei Transporteinheiten aufnehmen kann. Sobald alle Behälter für einen Rollcontainer eingelagert sind, können diese nach Versandpriorität und filialgerecht in der gewünschten Reihenfolge ausgelagert und der Rollcontainerbeladung zugeführt werden. Dafür ist jedem Lagerblock eine Bereitstellbahn mit einem Arbeitsplatz zugeordnet.
Thomas Graf, Leiter Betrieb bei der Bell Schweiz AG, Geschäftseinheit Geflügel„Dematic hatte für unsere Gegebenheiten – auch mit der räumlichen Ausnutzung – und der Leistungsanforderung die beste Lösung und machte auch beim Thema Softwareablösung im laufenden Betrieb den kompetentesten Eindruck.“
Ergebnis
Die Bell Schweiz AG hat die im Angebot spezifizierten Leistungsziele erreicht und konnte den Durchsatz seit der Inbetriebnahme merklich erhöhen. Darüber hinaus konnte die technische Stabilität und die Verfügbarkeit der bestehenden Anlage verbessert werden. Denn durch das Retrofit und die Reduktion der Bewegungen im Fertigwarenlager konnte die technische Belastung des ganzen Systems stark reduziert werden. Das wirkt sich positiv auf den Unterhalt des Systems und der Regalfahrzeuge aus, die jetzt mit längeren Wartungsintervallen auskommen.
Über den Kunden
Die Bell-Gruppe gehört zu den führenden Fleischverarbeitern in Europa und ist den Konsumenten über Marken wie Bell, Abraham, Zimbo, Môssieur Polette, Hoppe sowie verschiedenen Handels- und Eigenmarken bekannt.
Bell produziert in 27 Produktionsbetrieben in sieben Ländern traditionsreiche Spezialitäten von hoher Qualität, darunter geräucherte Schinken, Salami, Brühwürste oder auch portioniertes und mariniertes Frischfleisch zum Grillen. Zu den Kunden zählen der Detail- und Großhandel, die Gastronomie sowie die Lebensmittelindustrie. Am Standort Zell verarbeitet Bell Geflügel zu abgepackten Frischfleisch- und Convenience-Produkten für den Handel – vor allem für die Verkaufsstellen des Mutterkonzerns Coop.